23. September 2022 – endlich war es soweit. Ich saß freitags nach der Schule endlich im Zug nach Berlin. Nach Wochen und Monaten der intensiven Vorbereitung wurde es jetzt tatsächlich ernst.

Aber noch einmal ganz von vorne: 2019 habe ich zufällig sonntagmorgens im Fernsehen die Live-Übertragung von einem der größten Marathons in Deutschland gesehen – dem Marathon in unser Hauptstadt – mit über 40.000 Teilnehmern und Tausenden von Zuschauern, die an der Strecke anfeuern, Party, Musik und vor allem Stimmung machen. Wahnsinn – eine unglaubliche Atmosphäre! Ich laufe selber seit vielen Jahren sehr regelmäßig mit den Viermärkern, habe bereits an etlichen Halb-Marathon Events teilgenommen, bin aber noch nie einen ganzen Marathon gelaufen. Immerhin reden wir hier von 42,195 km Laufstrecke….. die Königsdisziplin unter den Freizeitsportlern heißt es. Ich ließ mich von dieser Wahnsinnsatmosphäre anstecken und habe noch vor dem Fernseher beschlossen: hier musst du unbedingt mal mitmachen!!

Die Euphorie war entbrannt, dass später auch ganz schön die Muskeln brennen würden, sollte ich noch mehr als deutlich zu spüren bekommen.

Die Euphorie wurde erst mal jäh gebremst, als ich mich für den Marathon im nächsten Jahr anmelden wollte: Da immer so viele Menschen dort laufen wollen, kann man sich nicht wie bei anderen Laufwettbewerben einfach anmelden, sondern muss zumindest online einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen und muss dann an einem Losverfahren zur Vergabe der Startplätze teilnehmen. Na super! Aber – ich hatte Glück, ein paar Wochen später bekam ich tatsächlich die Zusage, dass ich ausgelost worden war!! Coooles Gefühl!

Der weitere Dämpfer kam dann in Form von Corona Anfang 2020 daher. Die Pandemie brach über Europa herein: Alle Menschen lebten in Angst vor dieser todbringenden Krankheit, monatelanger Lockdown, an Großveranstaltungen war überhaupt nicht zu denken – alles abgesagt.
Zunächst habe ich dann das Vorhaben auf 2021 verschoben. Aber auch das Jahr 2021 startete mit Lockdown – also wieder ausgebremst. Die Viermärker Waldläufer, mit denen ich normalerweise 2-3x die Woche trainiere, durften aufgrund der Corona Verordnungen auch noch nicht wieder gemeinsam laufen. Und die Vorstellung, diese vielen notwendigen Trainingskilometer, die man für einen Marathon braucht, komplett alleine zu laufen – ohne Gesellschaft, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Außerdem war ja auch lange gar nicht klar, ob der Marathon überhaupt stattfinden kann.

Also …noch mal verschieben….

2022…jetzt sollte es endlich soweit sein. Also fing ich nach einer überstandenen Corona Erkrankung, etwas angeschlagen, ungefähr fünf Monate vorher an, mein Training zu intensivieren. Zu Coronazeiten habe ich deutlich weniger trainiert als sonst – ungefähr nur 20-30 Kilometer in der Woche.
Für die letzten vier Monate vor dem Marathon gab es dann einen engen und abwechslungsreichen Trainingsplan: Tempo-, Intervalltraining, Steigerungs- und Bergläufe, Lauf-ABC und lange, langsame Ausdauerläufe. Yoga zur Rumpfkräftigung und regelmäßigen Dehnung stand auch auf meinem Programm.
Zu meinem Glück boten die Viermärker gerade sowieso 1x in der Woche gezieltes Tempotraining für die Vorbereitung des Sparkassen Phönix-Halbmarathons im Leichtathletikstadion in Hacheney an, so dass ich mich hier anschließen konnte und auch das nicht alleine machen musste. Die erfahrenen Marathonläufer Felix und Jörg haben uns hierbei angeleitet und motiviert. Ungefähr 60-70 Kilometer pro Woche kamen so in der „heißen Phase“ der Vorbereitung an Laufkilometern zusammen. Und wer sich an den Sommer 2022 erinnert, war das mit der „heißen Phase“ mehr als ernst gemeint: all diese vielen Kilometer habe ich bei Außentemperaturen von 28-37 Grad Celsius über diese vielen Wochen absolviert. Alles andere als günstig und garantiert kein Geschenk bei diesen Temperaturen laufen zu MÜSSEN.
Den Zwei-Seen-Lauf konnte ich auch mehrfach als „Einstieg“ für die langen Ausdauerläufe nutzen, d.h. ich bin mit den Viermärkern die ersten 16-18 Kilometer gestartet und habe mich dann noch 10-12 Kilometer weiter „gequält“. Zum Glück hat auch Uwe mir so manches Mal tapfer Gesellschaft auf den langen Läufen geleistet – trotz 34 Grad im Schatten.
Erst ungefähr drei Wochen vor dem großen Event wurde es etwas kühler und die Beine liefen fast von alleine.

Pünktlich zum 25.9.22 war ich dann fit. Also Anreise nach Berlin.
Die ganze Stadt war schon im Marathon Fieber. 45.527 Läuferinnen und Läufer aus 157 Nationen waren gemeldet. Wahnsinn! Und ich war eine dieser Verrückten! Die halbe Stadt war bereits abgesperrt, da der Rundkurs einmal durch die Innenstadt, vorbei an allen wichtigen Sehenswürdigkeiten Berlins entlangführt.
Die Stadt brummte also schon von Besuchern und die gespannte Vorfreude stieg bereits am Tag vorher bei der Abholung der Startnummern. Diese mussten am ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof, im Rahmen der Sportmesse MARATHON EXPO persönlich abgeholt werden. Tausende von Menschen warteten geduldig bei der Startnummernausgabe und man bekam einen kleinen Vorgeschmack auf den nächsten Tag. Nach fast zwei Stunden Wartezeit kam ich dann glücklich mit all meinen notwendigen Utensilien aus dem Gebäude und wollte unbedingt noch den morgigen Startbereich genauer inspizieren.
Also ab zum Reichstag. Hier konnte man schon ein bisschen Marathon Atmosphäre schnuppern, da zu dem Zeitpunkt der Inline-Skater Marathon lief. Also noch einmal gemütlich in einem Restaurant mit Blick auf die Strecke, ordentlich ein paar Kohlenhydrate in Form von Nudeln „tanken“ und dann ab ins Bett.

Der Marathon Tag

Perfekte Bedingungen: Früh aufstehen (nicht so perfekt), 14 Grad Außentemperatur und Sonnenschein. Das konnte nur gut werden!
Mit der U-Bahn ging es zum Brandenburger Tor und somit zum Start-/Zielbereich. Tausende Läuferinnen und Läufer waren in angespannter Erregung für den baldigen Start. Alles war perfekt organisiert: Sehr gründliche Security Kontrollen, beste Beschilderung, wo man seine Kleiderbeutel abgeben kann usw. und dann schließlich Einlass in den Startbereich. Die „Straße des 17. Juni“ – unglaublich!!!

Fast 46.000 Menschen standen auf der Straße des 17. Juni in ihren zugewiesenen Startblöcken, feierten und wollten einfach nur noch los!

Vor mir lag die Siegessäule und hinter mir ragte das Brandenburger Tor aus der Menschenmasse. Und man wusste, in ein paar Stunden wird das Brandenburger Tor dein Zieleinlauf sein – wenn alles gut geht! Irres Gefühl!

Das Besondere am Berlin Marathon ist, dass hier Freizeitsportler mit den Profis gemeinsam laufen. Also sah man vorher im umliegenden Park, wie die Profisportler und Top-Favoriten auf den Gewinn, wie Eliud Kipchoge und Keira d’Amato, sich dort einfach zwischen uns „Normalos“ warm liefen.
Um 9:15 Uhr dann endlich der Startschuss für die erste Startwelle. Alles übertragen auf riesigen Leinwänden, damit man alles hautnah mitbekam, wie die Profis vorne losliefen. Noch vor den Läufern gingen morgens um 8 Uhr die Handbiker und Rollstuhlfahrer auf die Strecke.
Insgesamt gab es fünf Startwellen. Um kurz vor 10 Uhr ging es für mich dann endlich los, gegenseitig angefeuert von allen Mitläuferinnen und Mitläufern und Zuschauern.

Steffi vorne links im Bild nach dem Start

Nun galt es die 42,195 Kilometer zu bewältigen!! Da ich noch nie einen Marathon vorher gelaufen war, hatte ich mir überhaupt kein Zeitlimit gesetzt – ich wollte einfach ankommen. Man weiß ja nie, wie der Körper auf eine solche Belastung reagieren wird und hat schon viele Geschichten von gescheiterten Versuchen von Mitläufern gehört. Der berühmte „Mann mit dem Hammer“ sagt man, kommt ab Kilometer 30. Ich war also gespannt, fühlte mich aber bestens vorbereitet.
Also lief ich in einem gemütlichen Tempo los, ich hatte mir vorgenommen auf keinen Fall schneller als eine 7er pace zu laufen, um auf jeden Fall bis zum Ende durchzuhalten und genoss einfach das Wahnsinnsgefühl, mit so vielen Menschen ein gemeinsames sportliches Ziel zu verfolgen. Die Atmosphäre an der Strecke war gigantisch. Man lief nicht einen Kilometer alleine: überall standen Zuschauer, feuerten an mit Rufen, machten Krach mit Vuvuzelas, hielten Schilder hoch wie „You can do it“, „Du hast schon gewonnen- du bist dabei“, „Ihr seid die Besten“ usw., usw. und machten einfach Party. An der Strecke gab es 60 (!!) Musiktruppen wie schottische Dudelsackspieler, Alphörner, Sambatänzer und DJ’s mit unterschiedlichsten Musikstilen. Es ging durch Alt-Moabit (wo das berühmte Gefängnis ist ), Richtung Süden zum Kottbusser Tor durch Neukölln, Richtung Westen zum Rathaus Schöneberg – die ersten zwanzig Kilometer habe ich quasi überhaupt nicht gemerkt. Meine Beine liefen von alleine und ich konnte das ganze Spektakel an der Strecke beobachten und genießen.
Unterwegs traf ich immer wieder auf meine Töchter und meinen Freund, die mich an verschiedenen Stationen anfeuerten und meine bei mir geführten isotonischen Getränke auffüllten. Ein unglaublich wertvoller Motivationskick, wenn man zwischen den Tausenden von Zuschauern, immer wieder nach seinen liebsten Menschen Ausschau halten konnte. Dank des Zeitmessungschips konnte man mich online „tracken“ und wusste immer genau, wo ich gerade auf der Strecke war. Das haben auch viele andere Bekannte und Freunde genutzt und so bekam ich noch unterwegs schon unzählige Whatsapp Nachrichten, die mich anfeuerten durchzuhalten.
Unterwegs hörte man so unglaublich viele unterschiedliche Sprachen der Marathonis, sah schräge Kostüme der Läufer z.B. als Brandenburger Tor, Ananas, Asterix und Obelix, Einhorn und Unzähliges mehr verkleidet und staunte, aus welchen Teilen der Welt die Menschen extra für diesen Marathon angereist waren. Es fanden sich Läufer aus den USA genauso wie aus Hong Kong. Echt verrückt!
Leider wurde es im Verlauf des Vormittags immer wärmer und das Thermometer kletterte auf über 20 Grad. Eigentlich viel zu warm!
Danach ging es zurück stadteinwärts über den Hohenzollerndamm und schließlich den Kurfürstendamm. Hier konnte ich noch einen Blick auf die Luxusgeschäfte erhaschen, aber meine Begeisterung und mein Interesse an Louis Vuitton Taschen hielt sich nach über 30 gelaufenen Kilometern deutlich in Grenzen…
Bei Kilometer 34 merkte ich dann, wovon alle immer sprachen: Jeder Schritt tat erst mal nur noch weh, viele Mitläuferinnen und Mitläufer hatten schon nach den ersten 25 Kilometern aufgegeben oder mussten erst mal gehen, manche mussten sich am Rand der Strecke bei bereitstehenden Physiotherapeuten die Krämpfe aus den Waden massieren lassen. Auch ich wurde zwischenzeitlich deutlich langsamer, aber ich hielt durch und lief immer weiter!! Das berühmte „Tief“ war dann nach Kilometer 37 zum Glück vorbei und ich gab vom „Zielgeruch“ beflügelt wieder „Gas“. Etwas im Slalom, da wirklich viele Läufer inzwischen nicht mehr laufen, sondern nur noch gehen konnten und leider einfach mitten auf der Strecke gingen, anstatt am Rand der Straße. Die letzten Kilometer führten schließlich durch das imposante Regierungsviertel.
Und dann eröffnet sich mir der berühmte Blick aufs Brandenburger Tor. Wahnsinn!! Meine Kinder erwarteten mich dort und jubelten noch mal direkt am Brandenburger Tor. Die letzten paar hundert Meter galt es noch zu bewältigen und dann war es vollbracht!!!!

Beim Durchlauf durch das Brandenburger Tor

Wie hatte Adidas dort überall geworben: „IMPOSSIBLE IS NOTHING“. Ich kam nur unwesentlich später als der Gewinner Eliud Kipchoge im Ziel an…

Nein – Spaß natürlich – ich habe 5:17 Stunden gebraucht und Kipchoge krönte die 48. Auflage des BMW BERLIN-MARATHON mit einem unglaublichen Weltrekord von 2:01:09 Stunden. Damit verbesserte der 37-jährige Kenianer seine eigene Bestzeit um genau eine halbe Minute.

Gewinner Eliud Kipchoge beim Zieleinlauf

Ich war einfach überglücklich es geschafft zu haben! Zeit völlig egal!

Das Schwierigste an dem Tag war allerdings: nach einem Marathon die Treppen hoch in mein gemietetes Zimmer in den vierten Stock eines Berliner Altbaus zu kommen. Ufff!

Also liebe Läuferinnen und Läufer – vielleicht lasst ihr euch ja auch einmal zu so einem verrückten Ziel inspirieren…

Wie gesagt: „IMPOSSIBLE IS NOTHING“

Epilog:

Und die meist gestellte Frage an mich: „Und? Würdest du noch mal einen Marathon laufen?“ beantworte ich in der Regel:
„New York Marathon wartet auf mich – vielleicht zu meinem 60. Geburtstag… „ – sind schließlich nur noch 7 ½ Jahre…

Finisher Medaille vor dem Brandenburger Tor

Text und Fotos: Steffi Altmann