Vor ziemlich genau einem Jahr stand für mich fest: Das mache ich 2019 noch einmal. Und so stehe ich wieder in der endlos riesigen Wechselzone auf dem Ballindamm und friere vor mich hin. 15 Grad, bewölkt, immer wieder etwas Nieselregen. Der Animateur am Start sagt grade durch, dass die Alster muckelige 17 Grad hat. Eigentlich freue ich mich darüber. Klingt komisch, is aber so. Denn unter 22 Grad heißt: Es darf im Neoprenanzug geschwommen werden, und das ist deutlich einfacher als ohne. Mein Fahrrad steht an seinem vorgesehenen Platz, Helm und Startnummernband hängen am Lenker, Schühchen zum Radfahren und Laufen stehen parat. Bis zu meinem Start sind es noch gute eineinhalb Stunden. Viel zu früh war ich hier. Aber im Hotel habe ich es auch nicht mehr ausgehalten.

Gefühlt war ich schon 47 Mal auf dem Klo, eine Folge der Mischung aus großer Freude und Aufregung. Dabei brauche ich eigentlich nichts zu fürchten. Die letzten Monate sind trainingstechnisch super gelaufen. Auch wenn es zeitlich wegen der Arbeit nicht immer lief wie geplant, so habe ich doch einige Trainingskilometer geschafft. Außer auf dem Rad vielleicht. Das ist wirklich etwas kurz gekommen. Meine Laufzeiten konnte ich deutlich verbessern und ich habe es sogar geschafft als Ü40 das Kraulschwimmen noch zu lernen (Ein Hoch auf Arne!). Auch gesundheitstechnisch lief alles super in dieser Saison. Also alles gut.

Dann fangen alle in meinem Startblock an, sich den Neo anzuziehen. Ich habe meinen natürlich schon an. Und natürlich ziehe ich den obenrum noch mal aus …denn …. richtig …. ich muss dann doch nochmal pullern …
Ca. 20 Minuten vorher wird mein Startblock (das sind so 150 bis 170 Leute) in den Vorbereich vom Schwimmstart hereingelassen. Dort empfangen uns zwei Vorturner, die zu einem kleinen Aufwärmprogramm animieren. Ich komme zu dem gleichen Schluss wie im letzten Jahr: Von außen sehen wir in unseren Neos dabei aus wie Michelinmännchen auf Ectasy.

Zwei Minuten vor dem Start steige ich ins Wasser und sortiere mich hinten rechts ein. Um mich herum nehme ich so gut wie nichts wahr. Auch die übliche Panik, die ich bei den vergangenen Triathlons gerne mal im Freiwasser hatte, stellt sich diesmal nicht ein. Gottseidank. Dann das Startsignal. Ich starte mit Brustschwimmen, weil ich mich da immer noch sicherer fühle, zwischendurch gelingt es mir aber immer wieder, in den Kraulstil zu wechseln. Eine ganze Weile geht das recht gut und ich bin irgendwo im Mittelfeld. Unter der Lombardsbrücke hindurch geht es in die Außenalster. Die Bojen für die Wende kommen und es geht wieder zurück Richtung Jungfernstieg. Wieder in der Binnenalster werde ich von den ersten der nächsten Startgruppe überholt. Ich lasse mich dadurch aber nicht verrückt machen, aber dann plötzlich … semmelt mir einer mit seinem Kraulschwung voll auf die Glocke. Vor Schreck nehme ich einen tiefen Schluck Alsterwasser und muss kurz etwas auf der Stelle schwimmen. Immerhin entschuldigt sich der Rüpel. Aber das gehört eben auch beim Triathlon zum Freiwasserschwimmen dazu. Kurz vorm Ausstieg bekomme ich nochmal einen Schlag ab. Beim Ausstieg an der kleinen Alster und auf dem Weg zur Wechselzone stehen hunderte Zuschauer und feuern an. Das pusht ungemein. Der Blick auf die Uhr zeigt: Nicht schneller als im letzten Jahr, dafür aber auch nicht so abgekämpft.

Etwa 300 Meter ist der Weg zur Wechselzone. Direkt am Anfang steht mein Bike. Ich versuche alles, möglichst schnell zu machen. Aus dem Neo raus, Shirt an, Helm auf, Nummer umschnallen, Radschuhe an. Viele machen ihre Schuhe direkt auf den Pedalen fest, laufen barfuß zur Radstrecke und schlüpfen dann während der Fahrt in die Schuhe. Ich habe das ein paar Mal probiert. Und nachdem ich mich dabei mit dem Fahrrad auf Maul gelegt habe, habe ich mich für die Variante entschieden, mit Radschuhen an zur Radstrecke zu laufen.

Auf der Radstrecke trete ich zunächst etwas ruhiger in die Pedale. Erstmal greife ich zu einem Gel, um direkt wieder etwas Energie zuzuführen. Eine Erfahrung aus dem letzten Jahr, wo ich viel zu spät etwas gegessen habe, und dann war beim Laufen keine Energie mehr da. Also jetzt ein Gel direkt zu Beginn auf der Radstrecke. Also eigentlich nur ein halbes Gel, denn irgendwie bekomme ich die Tüte nicht auf, fummle mit Zähnen und Hand an der Öffnung rum, lege mich dabei fast auf den Asphalt und besudele mich mit einem Teil vom Gel … ich will da nicht drüber reden.
Die Radstrecke bietet wie im letzten Jahr sehr viel Sightseeing: Freihafen, Elbphilharmonie, Reeperbahn. In diesem Jahr auch die zusätzliche Attraktion: Sehr viel Wind. Vor allem Gegenwind. Jetzt könnte man meinen, dass wenn man auf dem Hinweg Gegenwind hat, hat man auf dem Rückweg Rückenwind. Ich weiß nicht, woran das liegt, aber irgendwie dreht der Wind auf magische Weise jedes Mal, wenn auch ich die Richtung ändere.
Die erste Runde von drei klappt ganz gut. Der Blick auf die Uhr zeigt allerdings, dass ich langsamer als geplant unterwegs bin. Auf Runde zwei versuche ich, etwas schneller zu sein, gelingt mir aber nicht wirklich. In der dritten Runde merke ich dann deutlich das fehlende Training auf dem Rad. Dennoch kann ich alle drei Runden relativ konstant durchfahren. Am Ende sind es ein paar Minuten langsamer als im letzten Jahr.

Der Wechsel zum Laufen sollte jetzt zügig gehen. Sollte. Wie ich so in die Laufschuhe schlüpfen will, stelle ich fest, dass in den Schnürsenkeln noch die Knoten vom Stadtlauf in Bad Essen drin sind. Ganze vier Minuten verfluche ich mich selbst und entknote dabei meine Schuhe. Was für ein dämlicher Anfängerfehler! Nützt nix. Irgendwas muss ja schiefgehen, von Spannung her und so …

Das Laufen geht gut an. An der Laufstrecke ist es vergleichsweise ruhig. Am Westufer der Alster geht es an vielen schicken Häuschen vorbei bis zum Nordzipfel der Alster. Im Vergleich zum letzten Jahr muss ich mich beim Laufen nicht so sehr quälen und laufe konstant mein Tempo durch. Es könnte sicherlich etwas schneller sein, aber ich habe mir vorgenommen durchzulaufen, und mit diesem gewählten Tempo weiß ich, dass ich das schaffe. Der Triathlon in Hamburg ist wirklich gut organisiert. Das merkt man auch an den Verpflegungsstationen, die exakt alle 2,5 Km alles bieten, was man braucht. Nach dem Wendepunkt fängt es an, wie aus Kübeln zu regnen. So rein wettertechnisch ist heute wirklich alles dabei.
Kurz bevor der Weg in die Altstadt Richtung Rathaus führt, ruft mir jemand zu: „Komm, gib nochmal Gas! Jeder Meter ist bezahlt!“ Da hat er wohl recht.

Die letzten 500 Meter sind dann zum Genießen. An der Strecke und auf dem Rathausplatz ist Partystimmung. Allein dafür lohnt sich die Teilnahme hier in Hamburg. Dann kommt auch schon der Zielbogen in Sichtweite. Jetzt heißt es lächeln, Bauch rein und Brust raus fürs Finisherfoto!
Ich laufe zwei Minuten schneller ins Ziel als beim letzten Mal. Eigentlich hatte ich mir eine deutlichere Zeitverbesserung vorgenommen. Auf der Radstrecke und bei den Wechseln habe ich einfach zu viel Zeit liegen lassen. Aber das alles ist jetzt egal. Diesmal war es in jedem Fall viel mehr Spaß und deutlich weniger Quälen. Stolz wie Bolle nehme ich meine Finishermedaille in Empfang.

Und im nächsten Jahr habe ich auch keinen Knoten im Schuh.

Kai Menne